Veranstaltung: | Landesdelegiertenkonferenz 24. Februar 2018 |
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Tagesordnungspunkt: | 5. Leitthema |
Antragsteller*in: | Landesvorstand (dort beschlossen am: 25.01.2018) |
Status: | Angenommen |
Beschlossen am: | 24.02.2018 |
Eingereicht: | 01.02.2018, 15:08 |
A1: Unsere Agrarlandschaft braucht biologische Vielfalt!
Antragstext
Öffentliche Gelder sollen zukünftig ausschließlich und zielgerichtet für
öffentliche Leistungen wie Naturschutz, Klima-, Umwelt- und Tierschutz
eingesetzt werden. Der Naturschutzfond soll als wirksamer Anreiz für die
Landwirtschaft fungieren. Er soll die individuellen, betriebsspezifisch
ausgerichteten Leistungen der Landwirt_innen und Leistungen anderer
Landnutzer_innen für die biologische Vielfalt tatsächlich honorieren, anstatt
nur zusätzliche Kosten abzufedern. Ziel ist eine positive Lenkungswirkung auf
die Biodiversität. Stabile Ernten durch stabile Ökosysteme statt Maximalerträge,
Qualitätsproduktion und regionale Wirtschaftskreisläufe statt Exportmaximierung
und Überschussfixierung: Wird nachhaltiger gewirtschaftet, sind bessere Preise
für die Agrarprodukte zu erzielen. So ausgerichtet wird die Agrarförderung
sowohl für die Landwirtschaft als auch für die Natur ein Gewinn.
Zur Unterstützung der Landwirtschaft bei der Reduktion der eingesetzten
chemisch-synthetischen Pflanzenschutzmittel-Wirkstoffmengen verlangen wir von
der Landesregierung ein Programm aufzulegen. Eine zentrale Rolle sollte dabei
die individuelle Beratung der Landwirtschaftsbetriebe zur Förderung stabiler,
artenreicher Agrarökosysteme, zur Nützlingsförderung und alternativen
Schädlingsbekämpfungsmethoden einnehmen. Wichtig für die Beratung sind die
Einbeziehung der Landesforschung und die Einführung von entsprechenden
Praxistagen.
Das Land sollte auf den eigenen Flächen Vorbildfunktion entfalten und auf
Ackergifte verzichten. Besonders gefährliche Ackergifte wie Neonicotinoide und
Glyphosat müssen gänzlich aus dem Verkehr gezogen werden. Wir fordern die
Landesregierung auf, in dem Sinne auf die Bundes- und EU-Ebene einzuwirken.
Diese flächendeckend integrierten, extensiv gepflegten Brachen als Rückzugs- und
Trittsteinflächen auf Äckern, Wiesen und Weiden – ohne Ackergifte und ohne
Düngemittel – sind ein einfaches, aber sehr effektives Instrument für mehr
Biodiversität. Die bestehenden Agrarumwelt- und Klimaschutzmaßnahmen (AUKM) in
Mecklenburg-Vorpommern enthalten gute Ansätze zur Förderung der biologischen
Vielfalt. Derzeit sind jedoch nur ca.1 Prozent der Ackerfläche in Mecklenburg-
Vorpommern AUKM-Flächen. Das ist viel zu wenig, um eine nachhaltige Wende für
den Artenschutz zu schaffen. Zudem sind die AUKM-Maßnahmen oftmals zu
kompliziert, zu starr und die Gebietskulissen zu engräumig konzipiert. Das
schmälert die Akzeptanz und Reichweite enorm und wird der Naturschutzsituation
vor Ort und dem jeweiligen Betrieb oftmals nicht gerecht.
Auf Ökolandbauflächen gibt es im Durchschnitt nachweislich eine größere
Artenvielfalt. Der Ökolandbau muss deshalb in Mecklenburg-Vorpommern offensiv
gefördert und nicht länger als Nischenbewirtschaftung betrachtet werden.
Forschung und Lehre sind auszubauen. Unabdingbar ist hierbei ein finanziell und
personell gut ausgestattetes Ökokompetenzzentrum, um Beratung, Verarbeitung und
Vermarktung zu koordinieren und zu stärken sowie um Praxis und Forschung zu
vernetzen.
Begründung
Der Rückgang der biologischen Vielfalt ist die stärkste Bedrohung unserer Ökosysteme. Der Biodiversitätsschwund ist eines der größten heutigen Probleme der Menschheit. Aktuelle Forschungen belegen den dramatischen Rückgang der Vielfalt an Lebensräumen und Arten in noch nie dagewesener Geschwindigkeit. Die Zahl der Fluginsekten ist in Teilen Deutschlands erheblich zurückgegangen. In den vergangenen 27 Jahren nahm die Gesamtmasse der Fluginsekten in Deutschland um mehr als 75 Prozent ab. Die industrielle Landwirtschaft spielt dabei eine entscheidende Rolle. Viele landwirtschaftliche Arbeitsweisen haben negative Auswirkungen auf ihre Umgebung und tragen in hohem Maße zum alarmierenden Artensterben und zur weiteren Verarmung unserer Kulturlandschaft bei.
Auch in Mecklenburg-Vorpommern nimmt die Arten- und Strukturvielfalt dramatisch ab. Zwei Drittel aller Blütenpflanzenarten des genutzten Grünlandes in Mecklenburg-Vorpommern sind gefährdet (Rote Liste), das gleiche gilt für die Vogelarten der Agrarlandschaft. Landwirtschaftsflächen mit hohem Naturwertanteil sind in unserem Land stetig gesunken und liegen jetzt unter dem deutschlandweiten Mittelwert (Halbzeitbilanz Biodiversitäts-Strategie MV).Und das in einem Bundesland, welches weithin als Naturparadies gilt. Das muss jedem zu denken geben.
2012 hat die Landesregierung eine Strategie zur Erhaltung und Entwicklung der biologischen Vielfalt im Land beschlossen. Die im November 2017 durch das Landesamt für Umwelt, Naturschutz und Geologie erfolgte Halbzeitbewertung der Landesstrategie zeigt, dass diese Strategie gescheitert ist. Das Ziel, bis 2020 die biologische Vielfalt in Mecklenburg-Vorpommern zu erhalten und zu entwickeln, wird bei weitem nicht erreicht werden. Mehr als die Hälfte der in 13 Aktionsfeldern und 73 Maßnahmen formulierten Ziele sind derzeit nicht erreicht. Defizite gibt es in allen Aktionsfeldern, allen voran bei der Landwirtschaft.
Ein Hauptgrund für den Artenschwund ist die politisch gewollte und forcierte Intensivierung der Bewirtschaftung bis in den letzten Winkel hinein und der damit verbundene Verlust an Lebensräumen und Nahrungsgrundlagen. Die für viele Arten überlebenswichtigen offenen Flächen in der Agrarlandschaft, sogenannte extensiv gepflegte Brachen bzw. extensiv bewirtschaftete artenreiche Grünlandflächen, sind durch die verfehlte Förderpolitik bei der Biomasseerzeugung für die Bioenergiegewinnung und die Intensivtierhaltung weitestgehend verschwunden. Es fehlen sogenannte Trittsteine, Wege für Restpopulationen, um wieder zueinander zu finden und sich auszubreiten, d.h. ein System von Biotopverbindungen. Stark verengte Fruchtfolgen und Monokulturen lassen die Biodiversität schwinden. Bienen und anderen Insekten hungern im Sommer, da ihnen die ganzjährige Nahrungsgrundlage fehlt, weil mit Mais oder Raps bebaute Äcker nur kurzzeitig Nahrung liefern. Der massive Einsatz von chemisch-synthetischen Ackergiften und Düngemitteln wirkt nicht nur auf den landwirtschaftlichen Flächen, sondern auch in die angrenzenden Ökosysteme hinein. Durch Überdüngung und zusätzliche Stickstoffeinträge aus der Luft von durchschnittlich 20 kg/ Hektar eutrophieren Wiesen, Wälder und Gewässer und verarmen so an Arten. Ackergifte führen zur schleichenden Vergiftung und beeinträchtigen das aktive Bodenleben massiv.
DiePersonaldecke in den Landesbehörden, die an der Erreichung der Ziele der Biodiversitätsstrategie arbeiten, ist äußerst dünn. Ehrenamtliche Naturschützer erheben viele Daten zum Artenmonitoring. Im Vergleich zu anderen Bundesländern gibt es jedoch wenig Unterstützung vom Land. Die Datenlage ist oftmals nicht ausreichend. Auch da besteht eindeutig Handlungsbedarf.
Die Agrarfördergelder werden noch immer im Gießkannenprinzip verteilt – und somit verschwendet. Sie entfalten keine positive Lenkungswirkung auf die Biodiversität. Im Gegenteil: Sie stützen Produktionsmethoden, die für die biologische Vielfalt kontraproduktiv sind. Verminderte Erträge sowie zeitlicher und materieller Aufwand für freiwillige Naturschutzleistungen der landwirtschaftlichen Betriebe werden bisher nicht in nötigem Maße honoriert.
Bei der anstehenden Agrarreform sind Kürzungen bei der sogenannten 2. Säule der EU-Agrarförderung zu befürchten.
Grundsätzlich sind mehr Investitionen in den Naturschutz nötig. So ist der LIFE-Naturschutz Fond EU-weit mit 348 Mio. Euro ausgestattet. Experten schätzen, dass jedoch allein für Deutschland 14 Mrd. Euro für Investitionen in den Naturschutz nötig sind.
Die Agrarumweltmaßnahmen (AUKM) allein werden den fortschreitenden Rückgang der Artenvielfalt nicht aufhalten können, da sie nicht flächendeckend wirken.
Zudem ist die Akzeptanz vieler dieser Maßnahmen bei den Landwirten begrenzt, da die Maßnahmen flächenscharf wie beantragt eingehalten werden müssen. Das ist in der Praxis schwierig, gerade wenn Maßnahmen bestehende Schläge künstlich teilen. Die Gefahr von unbeabsichtigten Fehlern und damit verbundenen Strafzahlungen ist zu groß.
Die Förderbudgets in der aktuellen Förderperiode bis 2020 sind zu niedrig, ein Großteil der AUKM-Programme ist jetzt bereits ausgeschöpft. Auch sind die derzeitigen Fördersätze zu niedrig, da sie die Naturschutzarbeit nicht honorieren, sondern gerade so die Kosten decken.
Die engräumigen Gebietskulissen der AUKM-Förderprogramme sollten überdacht und erweitert werden. Gerade beim Gewässer- und Erosionsschutzstreifen-Programm sind die Gebietskulissen nicht notwendig und sollten aufgehoben werden. So wird bisher die Einrichtung von ein- und mehrjährigen Blühstreifen und -flächen nur auf maximal 5 Hektar pro Betrieb gefördert, unabhängig von der Größe des Betriebes.
Dem recht neuen Förderprogramm für die Anlage von Landschaftselementen wie Hecken und Saumstrukturen fehlt es an Bekanntheit. Schonstreifen werden überall in der Agrarlandschaft benötigt. Wirkungsvoller als die Beschränkung der Förderung auf Schonstreifen an Alleen und Äckern, wäre ein flexibles Schonstreifenprogramm entlang aller Feldränder bzw. ein generelles Brachen-Programm.
Problematisch ist die derzeit erlaubte Ausbringung von Gülle im Rahmen des Programms der extensiven Dauergrünlandbewirtschaftung.
Gerade das Programm zur naturschutzgerechten Dauergrünlandbewirtschaftung, d.h. Vertragsnaturschutz auf Flächen mit besonderem Naturschutzinteresse wie Salzgrasland, Feucht- und Magergrünland, wird schlecht angenommen. Die vielen Auflagen und Untervarianten sind zu kompliziert und die Fördersätze sind im Verhältnis zum Aufwand zu gering. Auch hier sind die Gebietskulissen zu kleinteilig und damit unpraktikabel bemessen. Zudem entfällt bei dieser Vertragsnaturschutz-Förderung die Ökolandbauprämie für die betroffenen Flächen. Die 5 1/2-jährige Verpflichtung bei dem Programm ist problematisch. Veränderungen oder Flächentausch sind in der dieser Zeit unmöglich, wären jedoch nötig, z.B. in Fällen, wo die Pacht in dem Vertragszeitraum ausläuft.
Ackergrasanbau erfolgt oft auf für den Naturschutz wertvollen Magerstandorten. Doch diese Flächen müssen regelmäßig umgebrochen werden, da ansonsten der für die Landwirte vorteilhafte Ackerstatus erlischt. Hier ist eine Änderung auf EU-Ebene dringend notwendig. Zudem ist die Richtlinie zur Umwandlung von Acker zu Grünland unnötiger Weise an Kulissen gebunden.
Die vom Land geförderte Naturschutzberatung für die landwirtschaftlichen Betriebe ist noch nicht bekannt genug. Zudem ist die Förderung der Umsetzung der individuellen Naturschutzmaßnahmen nach wie vor unzureichend.
Für ein qualitativ hochwertiges und damit wirkungsvolles Management der Natura 2000-Gebiete fehlen in Mecklenburg-Vorpommern entsprechende verantwortliche Strukturen. Gerade für die langfristige Realisierung dieser Aufgaben sollten Gelder, beispielsweise aus dem ELER-Topf genutzt werden.
Eine genaue Sachanalyse und auch gute Konzepte für die Wiederherstellung der biologischen Vielfalt sind vorhanden. Doch es fehlt an klaren Verbindlichkeiten zur Umsetzung dieser Ziele. Der Schutz der biologischen Vielfalt darf nicht länger durch andere, vermeintlich wichtigere Zielsetzungen konterkariert werden.
Unterstützer*innen
- Landesarbeitsgemeinschaft Landwirtschaft und Naturschutz
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